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Freitag, 2. Juli 2010

“Einer kam heim aus Afghanistan”

Von Kevin Gurka | 1.Juli 2010 Radio Utopie

Das Trauerspiel des Horst Köhlers und die Privatisierung deutscher Kriege

Bei seinem Besuch im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide hatte sich Horst Köhler im Sommer 2009 in der Theorie über Ausbildung und Ausrüstung kundig gemacht. Dies wollte er dann, mit einem Überraschungsbesuch im Bundeswehrfeldlager in Masar-i-Sharif, sozusagen „bei geeigneter Gelegenheit dann auch in der Praxis erkunden“. Getreu seiner damals getroffenen Aussage – „Wir alle, vor allem in der Politik, haben die Aufgabe, den Einsatz in Afghanistan zu erklären“ – endete sein Auslandstruppenbesuch ein paar Tage später mit seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten. Das tragische Moment des Horst Köhlers war weniger sein gescheiterter Versuch, die Soldaten vor Ort zu motivieren und das in den letzten Jahren so stark in Verruf geratene Handwerk des Tötens in der deutschen Öffentlichkeit mit Respekt zu beehren. Vielmehr war es seine auf dem Rückflug getroffene Äußerung, die immer wieder mit Staatsräson begründeten Ziele der Bundesregierung mit ökonomischem Kalkül und wirtschaftlichem Profit in Verbindung zu bringen. So ließ Köhler verlautbaren, „dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere [wirtschaftlichen] Interessen zu wahren“. Auch wenn Köhler inhaltlich nur das zur Sprache brachte was im Weißbuch der Bundeswehr schon seit 2006 festgeschrieben steht, so brachte ihn diese Aussage ins Kreuzfeuer der Kritik.

Was sind ökonomische Interessen?

Tatsächlich dürften die zentralasiatischen Ressourcen wie Gas, Öl und die kürzlich entdeckten Bodenschätze Lithium und Kobalt nicht den entscheidenden Ausschlag im Parlament gegeben haben, sich an diesem Einsatz zu beteiligen. Anders jedoch als die Kritik des parlamentarischen Geschäftsführers der SPD Thomas Oppermann, an Köhler vermuten lässt, stellen Wirtschaftsinteressen und Sicherheit keine sich ausschließenden Bereiche dar. Die Transformation der Bundeswehr ermöglichte das Heranwachsen eines florierenden Wirtschaftszweigs, ohne welchen deutsche Auslandseinsätze heute nicht mehr möglich wären. Einem Abzug oder gar einer Abrüstung stehen heute mächtige Profiteure der Kriegsökonomie entgegen, denen von Seiten der Politik immer wieder das Wort geredet wird.

Die Privatisierung militärischer Dienstleistungen – ein deutsches Modell

In den 1990er Jahren kam es in England und in Deutschland zu einer starken Privatisierung militärischer Bereiche. Während sich die englische Regierung durch Private Finanzierungsinitiativen einen Zuschuss in die öffentlichen Kassen versprach und im Gegenzug Rüstungsverträge mit einer Laufzeit von 10-40 Jahren vergab, setzte man in Deutschland, neben so genannten inhouse solutions und kompletten Ausgliederungen, verstärkt auf das Modell der Öffentlich Privaten Partnerschaft (ÖPP). Vorreiter im Bereich der Privatisierung war die Luftwaffe, die bereits 1983 zusammen mit Vertretern der Industrie den Arbeitskreis Industrieunterstützung gründete. 1998 gründete der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie e.V. den Fachverband Wehrtechnik. Dieser versteht sich als eine Dialogplattform zwischen Bundeswehr und Industrie mit dem Ziel, die Informations- und Kommunikationstechnik des zivilen Markts für die Bundeswehr zu nutzen. 1999 unterzeichneten Schröder, Scharping sowie Vertreter der Wirtschaft den Rahmenvertrag „Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“.

Inhouse Solution

Im Zuge dieses Rahmenvertrags wurde im Jahr 2000 die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb mbH (gebb) ins Leben gerufen, die als Inhouse-Gesellschaft zu 100% in staatlichem Besitz ist. Deren Aufgabe ist es, Einsparungen im Bereich nichtmilitärischer Kernaufgaben zu erreichen und diese gegebenenfalls zu privatisieren. Neben Zivilisten beschäftigt die gebb auch Soldaten und übernimmt somit nicht nur im Bereich der Ausgliederung eine Vorreiterrolle. Vermischung ziviler und militärischer Angestellter finden auch in den von der gebb organisierten Ausgliederungen statt, bspw. bei der Privatisierung von Kasernen, Liegenschaftsverwaltungen, Verpflegung, Kinderbetreuung und Bewachung militärischer Einrichtungen. 2002 gründete die gebb, die ebenfalls staatliche BWFuhrparkService GmbH mit einem Auftragsvolumen von 3 Mrd. € bis 2012. Anteilseigner sind das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) mit 75,1% und die Deutsche Bahn AG mit 24,9%.

ÖPP

Bei den ÖPP kann zwischen so genannten Betreiber-, Betriebsführungs- und Kooperationsmodellen unterschieden werden. Letztere sind die von der gebb gegründete LH Bekleidungsgesellschaft, die HIL Heeresinstandsetzungslogistik GmbH mit einem Vertragsvolumen von 1,77 Mrd. € bis 2013 und das 2006 gegründete Herkules IT-Projekt das mit einem Vertragsvolumen von 10 Mrd. € bis 2016 als das größte Projekt gilt. Ein Betreibermodell stellt die Ausbildung von Hubschrauberpiloten für den NH90 durch das Industriekonsortium Helicopter Flight Training Service GmbH dar.

Eine Schlüsselrolle bei der Privatisierung des Militärischen nimmt das von Köhler besuchte GÜZ ein. Dieses gilt für SoldatInnen der Bundeswehr als letzte Trainingsstation vor einem Auslandseinsatz – spielt aber auch für die Kriege der NATO und der EU eine gewichtige Rolle. Das GÜZ ist ein Betriebsführungsmodell bei dem die hochtechnisierten Gefechtssimulationsinstrumente sowie Betrieb und Management komplett in privater Hand liegen. Das Auftragsvolumen des zu betreibenden Industriekonsortiums liegt bei 89,2 Mio. €.

Ausgegliedert werden aber auch militärische Kernaufgaben. So griff die Bundeswehr zur strategischen Aufklärung auf Satellitenbilder der US-Firmen Space Imaging und QuickBird zurück. Ihre Truppen- und Materialverlegung nach Afghanistan organisierte sie mit Antonov AN 124 der auf dem Flughafen Leipzig/Halle ansässigen Firma Ruslan SALIS, an der auch die milliardenschwere Anschaffung des A400 M wenig ändern wird.

Komplette Auslagerung

Komplett ausgelagert werden die Bewachung inländischer militärischer Liegenschaften, die Grundausbildung von Transallpiloten und Marineaufklärern und die Logistik und Versorgung von Soldaten bei Auslandseinsätzen. Auftragnehmer in Afghanistan ist neben der Firma Kühne und Nagel – sie organisierte den Aufbau des von Köhler besuchten Lagers in Mazar-i-Sharif – auch die Firma Ecolog.

Demokratie, freie Marktwirtschaft und Verantwortung

Der Großteil ausgegebener Mittel zum „Aufbau“ Afghanistans bedient die Profitinteressen westlicher Konzerne – dies nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern auch im Bauwesen und im Bereich der Beratungstätigkeiten. Gespart wird, in Afghanistan wie auch in Deutschland, vor allem an Löhnen. So werden laut ver.di die bis 2012 von der DHL 1.400 eingestellten MitarbeitereInnen auf dem Militärdrehkreuz Halle/Leipzig zusätzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen sein. Weiterhin ist eine immer stärker werdende zivilmilitärische Zusammenarbeit zu beobachten. Gefördert wird diese Politik durch verschiedene Interessengruppen, wie den Celler Trialog, der sich selbst als die Schnittstelle für die Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Bundeswehr sieht, den Arbeitskreis Logistik Bundeswehr und Wirtschaft, einer Zusammenarbeit zwischen dem Bund der Deutschen Industrie und dem BMVg sowie unter anderem durch die Lobbyarbeit der Firma Ecolog. Die Profiteure sind Rheinmetall Landsysteme, die Diehl Stiftung, die Serco GmbH, Hellmann Worldwide Logistics und die Siemens AG. Finanziert werden sie auf Kosten einer immer schlechter werdenden Sozialpolitik in Deutschland und dem Leid der afghanischen Bevölkerung.

„Die hören sollen, sie hören nicht mehr,“
Vernichtet ist die ganze Mär,
Mit einem Mandat der Zug begann,
„EINER kam heim aus Afghanistan“.

Kevin Gurka

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Artikel, der zuerst in veränderter Form in der Zeitschrift Publik-Forum Nr. 12/2010 erschienen ist.

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Quelle: IMI http://www.imi-online.de/2010.php?id=2145

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